Training als Resonanzraum – es knistert…

Jens Hüttner

Ein Interview mit Jens Hüttner

Jens Hüttner, langjähriger Berater, Trainer und Ausbildungsleiter der Trainer:innen-Ausbildung bei artop, spricht in diesem Interview über Resonanzpädagogik, die Haltung und Prozessverantwortung in Trainings sowie praktische Möglichkeiten, ein Training in einen Resonanzraum zu verwandeln.

Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa hat seine Resonanztheorie im Jahr 2016 veröffentlicht. In der Folge wurde das Resonanzkonzept als Form der Weltbeziehung auf die Schulpädagogik als „Resonanzpädagogik“ übertragen und diskutiert.

Jens, was hat dich als Trainer an dem Konzept allgemein angesprochen?

Ich habe mich vorher mit Hartmut Rosa und seiner Resonanztheorie im Kontext von Lebensglück und einem gelungenen Leben beschäftigt und habe dann das Buch „Resonanzpädagogik – Wenn es im Klassenzimmer knistert“ (Rosa & Endres, 2016) gefunden. Das Konzept der Resonanzpädagogik hat mich total angesprochen, weil ich ganz viel wiedergefunden habe, und zwar in meiner Haltung als Trainer.

Die Diskussion, die lange Zeit in der Trainer:innen-Community präsent war, hatte mit der Frage zu tun, inwieweit mache ich Wissensvermittlung in Form von Wissensaneignung oder in Form von etwas anderem. Dieses „Andere“ hat, finde ich, sehr viel mit Resonanz zu tun. Ein Stichwort, das mir da gleich ins Auge gesprungen ist, ist der Unterschied zwischen Aneignung und Anverwandlung von Wissen.

Wie meinst du das?

Ich denke, dass es klassisch in Lehr-Lern-Kontexten darum geht, dass die Teilnehmenden sich Wissen aneignen, irgendwas verstehen, irgendwas ausprobieren. Rosa sagt jetzt aber, dass Wissen nicht nur angeeignet werden soll, sondern anverwandelt. Hier gibt es natürlich gedanklich Parallelen zu den Taxonomiestufen nach Bloom, es geht aber wesentlich darüber hinaus.

Bei den Anverwandlung geht es darum, dass ich ein Thema nicht nur begriffen habe, sondern dass ich mir die Sache zu eigen mache, so dass daraus etwas Eigenes entsteht. Es geht nicht darum, etwas auswendig zu lernen, sondern darum, die Grundlogik des Themas zu verstehen und sich dann selber etwas Neues dazu auszudenken, eigenes Wissen und eigene Einstellungen zu erweitern, anders auf die Sache zu blicken. Die Teilnehmenden sollten nicht bekehrt, sondern verwandelt aus dem Training gehen, weil sie etwas berührt hat, weil sie etwas angesprochen hat und weil sie ihre Welt ein Stück neu entdecken.

Wie kann man sich Anverwandlung und Resonanz im Training genau vorstellen?

Ich denke, zu allererst zeigt es sich in der Haltung von Trainer:innen: wie lasse ich mich darauf ein, miteinander in Schwingung zu gehen oder miteinander ins Gespräch zu kommen, so dass alle Beteiligten anders aus dem Training herausgehen. Wechselseitige Schwingungen sind wesentlich, Teilnehmende und Trainer:innen gehen in Resonanz, antworten aufeinander und sind danach andere.

Es gibt die Momente, in denen die Teilnehmenden verzaubert sind, wenn sie sich wirklich mit dem Thema auseinandersetzen, sich berühren und ansprechen lassen und etwas Eigenes draus machen, dann sind sie meist selber von der Situation verblüfft, von ihrer Kompetenz verblüfft, von ihrer Selbstwirksamkeit verblüfft, und das hat schon einen gewissen Zauber.

Was ist aufseiten der Auftraggebenden und Teilnehmenden nötig, dass der Trainingsraum zu einem Resonanzraum werden kann?

Letztendlich braucht es Teilnehmende die neugierig sind, die auch Lust auf etwas Neues haben, ihre Sensoren anschalten und Impulse aufnehmen. Es beginnt schon in der Auftragsklärung, zu klären, was wird von dem:der Trainer:in und vom Training erwartet. Da kann und sollte man schon beginnen diese Haltung als Trainer:in zu platzieren. Ich könnte zum Beispiel deutlich machen, dass ich als Trainer:in wenig Vorgaben in Form von aufbereitetem Wissen machen werde und in dem Training nicht unzählige Modelle erklären werde. Sondern mich interessiert im Training das gemeinsame Nach- und Weiterdenken in der Gruppe. Es kann schon in der Einladung an die Teilnehmenden hilfreich sein, diesen Grundgedanken zu platzieren.

Der zweite Punkt ist, beim Beginn des Trainings einen guten Kontakt mit den Teilnehmenden zu finden. Kompliziert wird es, wenn die Personen entweder nicht darüber informiert sind, was für eine Art Training das ist oder wenn sie gar nicht richtig teilnehmen wollen. Es wird dann schwierig, bei ihnen Neugierde zu erwarten, aber hier hilft es, transparent zu erzählen, was die Idee ist und sie dann einzuladen, sich aufeinander und auf das Thema einzulassen.

Die Idee wäre dann, durch einen guten Aufhänger oder durch die eigene Begeisterung von dem Thema den Lerngegenstand attraktiv und lebendig zu machen, so dass die Teilnehmenden sich angeregt, inspiriert, oder vielleicht auch irritiert fühlen.

Es geht darum, sich gemeinsam auf den Lerninhalt, die anderen Teilnehmenden und die Trainingsperson einzulassen und in die gemeinsame Auseinandersetzung zu gehen. Muss es dabei harmonisch zu gehen?

Es geht nicht um Harmonie, sondern um ein Einlassen auf die Situation, auf die Menschen und auf das Thema, also ein Einlassen auf eine aktive Auseinandersetzung mit etwas. Es geht bei Resonanz nicht darum, etwas abzunicken und artig da zu sitzen, sondern es geht darum, sich offen und neugierig miteinander auseinanderzusetzen. Resonanz bedeutet, sich wechselseitig zu berühren, bewegen und anzuregen.

Das bedeutet, durch eine didaktisch überlegte Irritation können die Teilnehmenden berührt werden, und wenn sie sich darauf einlassen und wechselseitig ins Gespräch darüber kommen, dann bewegt sich etwas, dann können echte Resonanzmomente entstehen.

Genau, mich wechselseitig zu berühren und bewegen zu lassen, klappt natürlich besser, wenn die Teilnehmenden neugierig sind oder wenn sie schon lange darauf warten, zu diesem Thema mit jemandem ins Gespräch und Denken zu kommen. Dann funktioniert das super.

Und in Fällen, in denen die Personen in eine „Pflichtveranstaltung“ gehen, wird es als Trainer:in total schwierig, aber dann ist es vielleicht trotzdem machbar, die Neugierigen zu erreichen und die anderen Personen Stück für Stück auch… und manche vielleicht nicht.

Hier wird dann ein weiteres Merkmal von Resonanz erkennbar: die Unverfügbarkeit von Resonanzbeziehungen. Ein:e Trainer:in kann Resonanz im Trainingsraum nie sicher herstellen.

Nein, Resonanz kann man als Trainer:in nicht herstellen oder garantieren, aber du kannst die Rahmenbedingungen beeinflussen.

Beispielsweise könnte der Trainingsraum auf eine bestimmte Weise eingerichtet sein, der Raum als weiterer Trainer. So, dass Teilnehmende, die vielleicht zunächst skeptisch sind, neugierig angesprochen sind, berührt werden oder sie in Kontakt bringt – in Kontakt mit dem Raum, in Kontakt mit der Trainingsperson und in Kontakt mit dem Thema.

Man könnte auch versuchen, über das Thema „Zeit“ im Training Resonanzmomente wahrscheinlicher zu machen. Es gibt diesen schönen Satz „Lernen braucht Zeit und Wiederholung“. Im Trainingskontext ist das so wichtig, wenn ich möchte, dass jede teilnehmende Person etwas sagt, wenn ich möchte, dass Raum für Austausch und Diskussionen zum Thema da ist, dann kann man sich ausrechnen, wie viel Zeit man benötigt. In der Realität ist diese Zeit oft nicht ausreichend eingeplant. Selbst wenn alle motiviert und neugierig sind, braucht es Zeit, um in Schwingung zu kommen.

Woran merkst du, dass Teilnehmende in Resonanz sind?

Ich merke es oft an der Interaktion im Training, zum Beispiel wenn es viele Fragen von den Teilnehmenden gibt. Fragen, die nicht vordergründig das inhaltliche Verständnis betreffen, sondern eher Persönliches, Berührendes und Fragen, die auf eine Form der Weiterentwicklung abzielen. Ich habe mir schon lange angewöhnt, in dem Kontext nicht mehr zu sagen „Gibt es noch Fragen?“ sondern Zeit für Gedankenschleifen einzubauen und die Teilnehmenden zu fragen:

  • „Was gibt es für Impulse?“
  • „Was irritiert?“
  • „Welche weiteren Gedanken oder Kommentare gibt es dazu?“.

Diese Einladung ist eine ganz andere.  Wenn ich dann merke, da denkt jemand mit oder es gibt erweiterte Gedanken zu einem Thema, sei es eine Ergänzung oder eine Kritik – dann passiert so etwas wie Anverwandlung und Resonanz.

Was gibt es noch?

Auch neugierige Blicke oder aufmerksame Augen können Hinweise darauf sein, dass die Teilnehmenden berührt und bewegt sind. Das wiederum könnte mich als Trainer:in dazu auffordern, in diese Richtung weiter zu agieren, meine Dramaturgie zu ändern und Themenfolge zu justieren. So entsteht diese wechselseitige Schwingung im Training. Und das bedeutet auch, dass ich als Trainer:in im Vorhinein zwar eine Idee davon habe, welche Inhalte ich wann platzieren möchte, dass ich mich aber von den Impulsen im Raum auch leiten lasse und darauf eingehe. Erst dann entsteht eine Resonanzbeziehung zwischen mir als Trainer, den Teilnehmenden und dem Lerninhalt.

Das Trainingsgeschehen lässt sich mit Hilfe einer adaptierten Form des didaktischen Dreiecks veranschaulichen:

Resonanzpädagogik

Wie stehen die jeweiligen Ecken des didaktischen Dreiecks vor dem Hintergrund der Resonanzpädagogik deiner Meinung nach zueinander?

Ich sage ja immer, dass Trainer:innen nicht mehr Expert:innen für ein Thema sein müssen, sondern Exptert:innen für den Prozess und die Lernbegleitung. Trotzdem muss der Lerninhalt auch für mich als Trainer:in eine Bedeutung haben. Bestenfalls bin ich sogar davon begeistert, weil ich der Meinung bin, dass es ganz wichtig ist und weil es mich selber berührt hat.

Je begeisterter und emotional relevanter, desto besser?

Nein, das würde ich nicht sagen. Dieses Dreieck zwischen Trainer:in, Teilnehmenden und Inhalt ist aus guten Gründen ein gleichseitiges Dreieck. Die drei Dinge spielen zusammen und wenn ich total verliebt in dieses Thema wäre, laufe ich Gefahr, dass ich die Teilnehmenden nicht mehr wahrnehme oder ernst nehme. Es könnte sogar dazu führen, dass ich die Teilnehmenden überfordere und sie dann den Reiz an dem Thema verlieren, weil ich das Thema idealisiere. Insofern muss es eine gewisse Ausgewogenheit und Balance der drei Ecken geben.

Rosa und Endres sprechen im Zusammenhang mit Resonanzpädagogik davon, dass in diesem Fall der:die Trainer:in die „Resonanzverantwortung“ hat. Was meinst du dazu?

Ich kann eigentlich nicht die Resonanzverantwortung haben, weil ich nicht die Verantwortung für mein Gegenüber habe. Das hat jeder Teilnehmende und jede Teilnehmende selbst. Ich würde sagen, wir machen im Training Angebote – ich biete mich als Lernbegleiter:in an, ich gebe meine Impulse in vielen Arten und Weisen, in verschiedenen Formaten weiter und was die Teilnehmenden damit machen, kann ich nicht verantworten.

Ich habe die Verantwortung dafür, die Möglichkeiten von Resonanz herzustellen, das würde ich unterschreiben. Aber ich kann keine Resonanzsicherheit geben, weil Resonanz etwas Wechselseitiges ist. Resonanz ist kein Zustand oder Gefühl, sondern eine Form der Beziehung. Das heißt, ich habe als Trainer:in die Verantwortung, Resonanz ermöglichende Settings herzustellen und eine Resonanz ermöglichende Haltung zu haben. Eine Garantie für Resonanz und Anverwandlung kann ich jedoch nicht geben.

Du würdest demnach sagen, Trainer:innen haben die alleinige Prozessverantwortung, aber keine alleinige Resonanzverantwortung.

Genau. Es ist meine planerische Verantwortung, zum Beispiel immer wieder Interaktionsschleifen ins Training einzubauen, die dazu führen, dass Anverwandlung überhaupt möglich ist. Inzwischen erlaube ich mir im Training immer, das Konzept völlig umzustellen und dem Raum zu geben, was gerade da ist.

Es ist dann auch wieder Prozessverantwortung von Trainer:innen, der auftraggebenden Person im voraus mitzuteilen, dass man nicht garantieren kann, alle gewünschten Themen zu schaffen. Das ist dann eine Haltungsfrage.

Sind das auch die Dinge, die Haltung, die du angehenden Trainer:innen in der artop-Ausbildung nahe legst?

Ja, es ist für mich total schlüssig, den eigenen Anspruch an Trainings mit dem Konzept der Resonanzpädagogik zu erklären. Für mich gehört es jetzt zum Handwerkszeug für (angehende) Trainer:innen, passt zu meiner Haltung und ist somit auch Bestandteil der Trainer:innen-Ausbildung bei artop.

Vielen Dank!

Das Interview führte Annika Manthey.

Literatur:

Rosa, H. (2016). Resonanz – eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag.
Rosa, H. (2021) Unverfügbarkeit Residenz Verlag
Rosa, H. & Endres, W. (2016). Resonanzpädagogik – wenn es im Klassenzimmer knistert. Beltz Verlag.

Am 21.11.2024 startet das 33. Curriculum der Ausbildung Train the Trainer. Hierzu finden regelmäßig Online-Informationsveranstaltungen statt.  Jens Hüttner wird die Ausbildung vorstellen und für Fragen zu Inhalten, Ablauf und Einstiegsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Sie sind herzlich eingeladen!

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